Zwischen Staubwolken sitzen und sich wundern. Wundern über die eigenen Geschichten. Über schlimme Frisuren, jugendliche Mädchenfreundschaften und rührende Liebesbriefe. So gestaltet sich für mich ein Umzug.

Von vielen Geschichten bleibt nicht mehr als ein zerknicktes Foto oder ein bekritzeltes Papier. Ich halte die gegenständliche Erinnerung in der Hand und wiege ihren Wehmutsfaktor ab. Wiegt die Wehmut schwer, darf das Erinnerungsstück bleiben. Ist sie zu leicht, muss das Teil gehen. Umzug ist, wenn die Jugendsünden in eine einzige Kiste passen müssen und andere Erinnerungen nicht mehr mitreisen dürfen.

Ein Umzug im Jahr 2015 bedeutet aber nicht mehr nur die übliche Erinnerungsschwermut. Das Kistenpacken im digitalen Zeitalter führt mir außerdem mein Alter vor Augen – insbesondere meine technische Vergangenheit und Gegenwart: aus der Zeit gefallene Endgeräte und überflüssige Informationsmedien.

Die Digitalisierung füllt Müllsäcke und schärft zugleich den Blick für die wesentlichen Erinnerungsstücke. So manch Analoges verliert seinen Wert, gar seine Funktion, anderes gewinnt an neuer Bedeutung.

Wörterbücher

Bücher wegzuwerfen, ist ein Frevel. Bücher sind wie Möbel. Sie gehören zur Wohnung, wie auch Esstisch, Kleiderschrank oder Bett Teil der Einrichtung sind.

Nun habe ich aber doch zum ersten Mal freiwillig Bücher weggeschmissen – und zwar Wörterbücher. Der zerfledderte Englisch-Deutsch/Deutsch-Englisch Langenscheidt wird keinen Platz in meinem neuen Bücherregal finden. Auch der Rechtschreib-Duden muss draußen in der Mülltonne bleiben. Ein Smartphone-Nutzer muss in seinem Bücherregal keinen Staub-Raum mehr für Wörterbücher lassen. Will das englische Wort für „Umzug“ partout nicht einfallen, helfen Leo und Linguee ohnehin schneller weiter als ein verlorener Griff ins Regal.

Gerät dadurch eigentlich das schöne Wort „Nachschlagen“ in Vergessenheit? Findet es gar seinen Platz auf der Liste fast vergessener Wörter? Immerhin schlägt der User keine Seiten in der Smartphone-App um. Vielleicht werden wir Begriffe zukünftig „nachtippen“ statt „nachschlagen“?

Klapp-Handy

Ein echtes Fundstück beim Durchstöbern verschiedener Kisten im oberen, hinteren Bereich des Kleiderschranks war ein Motorola-Klapphandy.

Der erste Impuls, das Handy wegzuwerfen, wich der Überlegung, welch famoses Karnevalskostüm mit solch einem Technik-Relikt realisiert werden könnte. Also ist der Handy-Knochen aus der Tüte mit alten Gigasets, die allesamt entsorgt wurden, in die Kiste voller Karnevalsutensilien gewandert.

Das Handy perpetuiert damit durchaus seine Funktion als Kommunikationsinstrument. Zwar weniger als technisches Verbindungsglied, sondern eher als Kommunikationsanlass – gewissermaßen als ein karnevalesker Lockruf. Rosenmontag wird zeigen, ob das Motorola-Klapphandy seinen neuen Dienst leistet.

Selbstgebrannte Silberlinge

Wofür sind 2015 CDs noch zu gebrauchen? Scheußliche Untersetzer, hässliche Mobiles oder einfach nur Wurfgeschosse? Nichts davon erscheint mir wirklich sinnvoll.

Dank Premiumoptionen bei digitalen Streamingdiensten ist der Nutzer zeit-, ort- und datenträger-unabhängig musikalisch bestens versorgt. Viele Menschen kaufen allerdings auch heute noch CDs. Gut so. Ich zahle mein monatliches Abo. Auch gut so. Da passt es, dass 2015 erstmals ein Gleichziehen der digitalen und physischen Umsätze auf dem globalen Musikmarkt zu verzeichnen war.

In Zeiten von Spotify, Soundcloud und Co. erscheinen mir CDs als Umzugsballast: Nur selten überhaupt abzuspielen, anfällig für Kratzer und anders als Kassetten nicht alt genug, um nostalgische Gefühle zu wecken. Die CDs mit musikalischen Jugendsünden habe ich also gleich säckeweise entsorgt und hunderte DM Taschengeld damit der Mülltonne zum Fraß vorgeworfen.

Einige ausgewählte durften allerdings bleiben: Die selbstgebrannten unter den silbernen Scheiben liegen nun in der Erinnerungskiste und reisen mit in den neuen Keller. Die preislich-günstigen CD-Rohlinge, krakelig beschriftet und in selbstgebastelten Hüllen steckend, die kommen mit. Der Wert dieser digitalen Mixtapes speist sich eindeutig nicht aus dem Monetären, sondern aus den verbundenen Emotionen.

Ein Umzug im Jahr 2015 hat mir vorgeführt, welche Gegenstände für den Onliner obsolet werden und offenbart zeitgleich ganz und gar unerwartete Werte bei verlorengeglaubten Dingen. Der emotionale Wert des Gegenständlichen tritt in den Vordergrund und reduziert andererseits so Manches auf sein Dasein als Staubfänger.

Fest steht: Entmisten amüsiert. Vielleicht besitzt das Klapp-Handy irgendwann den gleichen Absurditätswert, wie es der 70 Jahre alte Haushaltskalkulator meiner Oma heute für mich hat.

Auch so ein Fundstück. Wir werden wohl unsere Enkel dazu befragen müssen.