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Wenn Journalisten Recherchen bei Kollegen klauen

Drei Jahre lang recherchierte und schrieb der Berliner Journalist Peter Köpf über das Schicksal von Nato-Soldaten, die in die DDR desertierten. Im Februar erschien sein Buch „Wo ist Leutnant Atkins?“ im Links-Verlag. „Gut recherchiert“ urteilte die „FAZ„. Einer der Deserteure, Victor Grossmann, sagte bei einer Lesung:
 „Ich habe viel erfahren, was ich gar nicht wusste – sogar über mich.“

Köpf hat bereits Bücher über die Verlegerfamilie Burda, über die Familie Mommsen, über den CSU-Politiker Edmund Stoiber und über die Lotto-Mafia geschrieben. Aber es ist zunehmend schwer für ihn, von Büchern allein zu leben. Deshalb leitet er seit einigen Jahren die in Berlin erscheinende „German Times„, die mit weiteren englischsprachigen Zeitungen („Atlantic Times“, „Asia-Pacific Times“) mehrmals im Jahr erscheint. (Offenlegung: der Autor dieser Zeilen hat bereits für diese Zeitungen geschrieben.)

Bücherschreiben wurde für Peter Köpf zu einer Nebentätigkeit, die er sich leistet. Er liebt es, sich in Themen zu vertiefen, die andere nicht beachten. Während jeder weiß, dass Soldaten aus der DDR in den Westen flüchteten, ist weitgehend unbekannt, daß Nato-Soldaten in die DDR überliefen. Köpf machte sich auf ihre Spuren; besonders interessierte ihn das Schicksal von William Adkins alias John Reed, der am 4. Mai 1963 spurlos verschwand.

Es ist „ein wenig bekanntes Kapitel des Ost-West-Konflikts“, wie Tom Buhrow einen Beitrag in den ARD-Tagesthemen anmoderierte. Als die Tagesthemen das Thema aufgriffen, freuten sich Autor und Verlag. Denn darum geht es einem Journalisten, der jahrelang recherchiert und kaum daran verdient. Er will das Thema in die Öffentlichkeit bringen; die Nennung seines Namens ist der Lohn seiner Arbeit. 

Doch als der Beitrag am 2. April im Fernsehen lief, war Köpf tief enttäuscht. Weder Tom Buhrow noch der Fernsehjournalist Matthias Koch, ein Mitarbeiter des MDR, erwähnten Köpf und seine Recherchen als Quelle ihres Beitrags. Die ARD präsentierte das Thema, als sei die Recherche allein ihr Verdienst. Erst auf die Beschwerde von Köpf hin wurde nachträglich online ein Hinweis auf sein Buch eingefügt.

Mehrere Stunden Hilfe

Daß Köpf in dem Fernsehstück nicht genannt wurde, ärgerte ihn umso mehr, als er und sein Verlag auf Bitten der ARD über mehrere Stunden mit Rat und Hilfe beiseite standen. Die Pressesprecherin des Links-Verlags, Edda Fensch, sagt, gemeinsam mit Köpf habe sie der ARD den Protagonisten Jan Stoops geliefert, der davor noch nicht in der Öffentlichkeit stand. ARD-Journalist Koch stellte ihn in den Mittelpunkt des Beitrags. Köpf betont: „Koch hätte den Zeitzeugen Jan Stoops nie getroffen, wenn wir die beiden nicht auf sein Bitten um einen anderen Zeitzeugen als Herrn Grossman zusammengebracht hätten. Er kommt im Buch tatsächlich nicht vor. Stoops kam erst 1962 in die DDR, mein Buch spielt zwischen 1953 und 1956.“

Edda Fensch sagt: „Ohne Jan Stoops hätten die Tagesthemen den Beitrag vermutlich gar nicht produzieren können“. Den Zeitzeugen Stoops hatte Köpf auf der Buchpremiere in Bautzen kennengelernt, so Fensch. „Ich habe dann den Kontakt für den Tagesthemen-Beitrag hergestellt, ebenso zu Victor Grossman. Ich habe Grossman auch mehrmals um die Autorisierung der verwendeten Fotos für den Tagesthemen-Beitrag gebeten“. Sie habe auf Bitten der ARD also sogar in einer Sache vermittelt, nämlich wegen der Bildrechte, die das Buch gar nicht berührten. Sie habe das gerne getan.

Auf wiederholte Nachfragen habe ihr der ARD-Journalist Koch mehrfach zugesichert, Peter Köpf und sein Buch würden natürlich als Quelle genannt. Darüber hinaus wollten die Tagesthemen ein Statement von Köpf in dem Beitrag senden, das eine MDR-Mitarbeiterin für ein anderes Stück gedreht hatte.

Fensch beschwerte sich hinterher erbost bei Koch: „Natürlich haben wir in den Jahren einiges erlebt mit Abzocke-Kollegen, die sich dreist bei Geschichten bedienen, für die andere Jahre recherchiert haben, sich von Verlagsseite und vom Autor alle mögliche Hilfe erbitten, Zeitzeugen quasi auf dem Silbertablett exklusiv serviert bekommen und dann weder den Autor zu Wort kommen lassen, noch das Buch nennen, dem sie ihr Wissen verdanken“. Man hoffe jedes Mal wieder auf Fairness, besonders da es sich im konkreten Fall um die ARD handelt und nicht irgendwelche profitorientierten Privatsender. „Weit gefehlt, wie man gestern Abend wieder feststellen konnte. Am Nachmittag hatten Sie mir noch versichert, dass natürlich auch der Autor vorkäme“.

Koch weist den Vorwurf zurück, sich dreist bedient zu haben, bestätigt aber den Sachverhalt und bedankt sich kleinlaut: „Für die Vermittlung dieses Zeitzeugen sind wir Ihnen sehr dankbar“. Er spricht von bedauerlichen „Mißverständnissen“, weil es bis kurz vor der Ausstrahlung „ständig konzeptionelle Änderungen“ gegeben habe. „In der Tat war noch während des Tages geplant, den Buchautor quasi als Experten über die Dimension des Themas zu Wort kommen zu lassen.“ Dann habe die Redaktion Änderungen und Ergänzungen gefordert, die dies unmöglich machten. Bei Nachfragen von Zuschauern – oder Leser im Internet – werde er aber selbstverständlich auf das Buch hinweisen. Tatsächlich brachte die ARD im Internet nach der Beschwerde von Köpf einen knappen Hinweis an. Im übrigen plane er einen weiteren Beitrag für den MDR und hoffe auch dafür auf die Unterstützung von Verlag und Autor.

Koch arbeitet für den MDR, will aber offenbar nicht direkt auf eine Anfrage der Berliner Zeitung an ihn antworten. Er leitet die Anfrage an den MDR-Sprecher Walter Kehr weiter. Der redet sich raus: „Ganz generell machen wir keine ‚Deals’ oder feste Zusagen für das Auftreten von Interviewpartnern.“ Doch darum geht es nicht. Es ist journalistische Pflicht, auf Quellen hinzuweisen.

Thomas Hinrichs, Zweiter Chefredakteur ARD-aktuell, ist sich dessen bewusst, wenn er sagt: Der Hinweis sei „in der Hektik nicht zur Zufriedenheit aller Seiten gelaufen. Eine Absicht steckte nicht dahinter“. Immerhin, wenngleich sich die ARD-Chefredaktion nicht zu einer  Entschuldigung gegenüber Köpf durchringen konnte. An Tagesthemen-Moderator Tom Buhrow schrieb Peter Köpf: „Der versprochene O-Ton des Autors oder ein Hinweis aufs Buch wäre angemessen gewesen“. Anders als MDR-Sprecher Kehr antwortete Tom Buhrow umgehend: „Sie haben Recht: Ich höre davon zum ersten Mal und werde ihre Beschwerde an die zuständigen Kollegen weiterleiten“.

Kolleginnen von Edda Fensch aus anderen Verlagen haben sich nach der Veröffentlichung in der „Berliner Zeitung“ bei ihr gemeldet und ihr gesagt, ihre Kritik spreche vielen Verlagsleuten aus dem Herzen. Ihr Tenor: „Endlich wird das mal thematisiert“. Normalerweise schlucken Verlage den Ärger in der Hoffnung, ein anderes Mal etwas gut zu haben. Doch Fensch jedenfalls fühlt sich missbraucht und will deshalb über den Missstand reden.

Ärger über „Abzocke“

Es ist auch nicht die erste Erfahrung dieser Art: 2010 hatte das ZDF Interesse am Buch der Autorin Helga Boschitz „Es fühlt sich endlich richtig an“ über das späte Coming-out von Frauen. Fensch schlug der Redaktion von Markus Lanz die Autorin als Gesprächspartnerin vor und schickte drei Bücher an die Redaktion. Dort sei man zunächst begeistert gewesen, doch später war plötzlich nicht mehr davon die Rede, dass die Autorin in die Sendung geht. Man wollte „Betroffene“ und kam man auf Yvonne Ford von den Late Bloomers, die im Buch prominent vorkommt. Das Buch sei dann nicht mehr Thema in der Sendung gewesen.

Ein ähnlicher Fall: Am 24. Mai 2012 hatte Lanz den Kreml-Flieger Mathias Rust in der Sendung. Fensch hatte die Redaktion auf das Buch „Der Kreml-Flieger“ und auf den 25. Jahrestag der Landung auf dem Roten Platz in Moskau hingewiesen und drei Bücher an die Redaktion geschickt, wie sie sagt. „Ich habe den Kontakt zu Rust hergestellt, aber nicht der Autor wurde mit eingeladen, sondern „Stern“-Chefredakteur Thomas Osterkorn“ (Rust hatte vor 25 Jahre seine Geschichte exklusiv dem Stern erzählt). Lanz habe in der Sendung viele Details erzählt, wie er sie aus dem Buch kannte und sagte dann nur: „So schildern Sie das in einem sehr interessanten Buch, das ich zu dem Thema gelesen habe“. Das Buch selbst und der Autor, der all das zusammengetragen hatte, Ed Stuhler, kamen nicht vor und wurden nicht genannt. Das Gespräch Lanz-Rust kann man bei Youtube sehen. 

Fensch sagt, sie verstehe, dass Sender nicht der verlängerte PR-Arm der Verlage seien und eigene Schwerpunkte mit einer eigenen Gäste-Mischung und Protagonisten präsentierten. Sie verstehe aber nicht, warum dann nicht wenigstens in der Moderation oder Anmoderation eines Beitrags die Quelle erwähnt wird. „Ein einziger Satz, ja ein Halbsatz mit dem Titel des Buches und dem Namen des Autor hätten ja schon ausgereicht“.  

Die Hinweise der ARD auf Missverständnisse und Hektik ändern nichts daran, dass sich Peter Köpf ärgert. Er beklagt „Abzocke“, sieht ein grundsätzliches Problem, das immer mal wieder auftritt, und hat deshalb auf seiner Website www.denk-bar.de eine „Klagemauer“ eingerichtet. Auf einem Button ermuntert er: „Wenn Journalisten bei Kollegen klauen. Schildern Sie Ihren Fall.“ Köpf glaubt, dass viele Journalisten ähnliche Erfahrungen machen und schreibt: „Es geschieht täglich: Journalisten schöpfen bei Sachbuchautoren ab… Ist ja zum gegenseitigen Nutzen, denkt der Autor, und verbringt Stunden, um zu erläutern und zu helfen. Dann erscheint der Beitrag, und man ist raus. Abzocke? Plagiat? In jedem Fall unanständig.“


Dieser Beitrag ist in ähnlicher Form in der „Berliner Zeitung“ und der „Frankfurter Rundschau“ erschienen.