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Wie die Digitalisierung die Liebe verändert

Der Mensch, ständig ist er auf der Suche: nach seinen Autoschlüsseln, dem Traumjob, einer neuen Wohnung. Vor allem aber nach der großen Liebe. Nie gab es so viele Singles wie heute, jeder fünfte Deutsche lebt allein. Laut einer Studie des Hamburger Analyse-Instituts Nielsen nutzt inzwischen die Hälfte von ihnen das Internet als Kontaktbörse – achtmal so viele wie vor zehn Jahren. Kein Wunder: Das Internet schläft nie, kennt weder Sperrstunde noch Ladenschluss, steht uns unabhängig von Zeit und Raum zu Diensten. Es begleitet uns überallhin, versendet unermüdlich Botschaften, funkt unsere Selbstdarstellung in Dauerschleife in die Welt.

Es hat aber auch die Kommunikation zwischen Paaren verändert. Es vollzieht Hochzeiten, Scheidungen und ersetzt den Paartherapeuten – oder versucht es zumindest. Was aber kann das Internet wirklich für die Liebe tun? Und wo stößt es an seine Grenzen?

Schnell

Wer im virtuellen Raum nach Liebe sucht, spart Zeit. Hier bewegen sich ausschließlich Gleichgesinnte, was die Trefferquote erheblich steigert. Vor allem aber: „Man kann den Partner gezielt nach seinen Selektionskriterien auswählen“, sagt Diplom-Psychologin Christiane Eichenberg von der Universität Köln. Während man sich in der Realität noch beim ersten Glas Wein behutsam den drängendsten Fragen annähert – Ist er überhaupt zu haben, und wenn ja, ist er interessiert? – haben die Filter der Online-Partnerbörsen längst die Spreu vom Weizen getrennt. Von der Haar- und Augenfarbe bis zur Figur, vom Wohnort bis zum Dialekt, vom Beruf bis zu Hobbys über Haustiere und sexuelle Vorlieben – jedes Detail wurde bereits abgeklopft, wenn ein Profil den Suchenden erreicht. Und entspricht exakt seinen Vorstellungen.

Altersgemäß

Wer glaubt, Senioren halten bei Bridge und Sitztanz Ausschau nach einem Partner, irrt sich: „Die Nutzer-Gruppe der über 50-Jährigen boomt bei den Singleportalen am stärksten“, sagt Pamela Moucha, Sprecherin des Portals Singlebörsenvergleich. „Verschiedene Online-Studie bestätigen, dass etwa 60 Prozent der 50- bis 65-jährigen Singles in den vergangenen Monaten schon einmal auf Online-Partnersuche gewesen sind.“ Das Angebot ist umfangreich: Portale mit verheißungsvollen Namen wie „Romantik50plus“ oder „Oldiepartner“ werben mit attraktiven, leistungsfähigen Silver-Agern, die gut gelaunt und augenscheinlich ohne finanzielle Sorgen durch ihren zweiten oder dritten Frühling surfen. „Ich kenne viele Paare, die sich online kennengelernt haben“, sagt Paartherapeut David Wilchfort. „Es sind hauptsächlich verwitwete ältere Leute oder solche, die schon mal verheiratet waren.“ Der Grund liege auf der Hand: die größere Auswahl. „Man kann gezielt jemanden kennenlernen, der zu einem passt.“

Individuell

Ob ausgefallen oder außergewöhnlich – das Netz erfüllt so gut wie jedes Bedürfnis. Es gibt Portale speziell für Alleinerziehende, für Ausländer, für kleine, dicke oder dünne Menschen, für Esoteriker oder religiöse, für Menschen mit körperlichen Einschränkungen oder chronischen Krankheiten. Es gibt Webseiten für Lesben und Schwule, für Swinger, Seitenspringer, SM-Anhänger oder Fetischisten. Aus einigen dieser Börsen haben sich neue Varianten des Zusammentreffens etabliert, wie zum Beispiel das „Casual Dating“, das gerade durch Seitensprungagenturen immer mehr Zulauf erfährt. Zwei Personen verabreden sich und machen genau, was sie zuvor abgesprochen haben. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Kommerziell

Der Anspruch, einen Partner zu finden, der den eigenen Wünschen, Vorlieben und Vorstellungen entspricht, rückt bei der digitalen Partnersuche immer mehr in den Fokus. Das Dating-Portal „Shopaman“ etwa hat sich in dieser Nische perfekt eingerichtet. Es spricht bewusst weibliche Kunden an, „die den passenden Mann zur neuen Handtasche suchen“. Dabei bedienen sich die Betreiber bewusst aus dem Shopping-Vokabular: „Wenn dir ein Mann gefällt, leg ihn einfach in deinen Warenkorb und warte ab, ob er dich kontaktiert“, heißt es auf der Website.

Illusorisch

Es ist ja auch wie im Supermarkt: Die grenzenlose Auswahl birgt stets die Gefahr, jederzeit ins Regal zurückbefördert zu werden – die Ware muss sich also von ihrer besten Seite zeigen. Dabei wird fast immer geflunkert, wie eine US-Datingagentur durch eine Überprüfung ihrer Kundendateien herausfand. Die registrierten Mitglieder waren in der Regel fünf Zentimeter größer und 20 Prozent reicher als der Durchschnittsbürger. Außerdem wirkten sie, dank veralteter Profilbilder, überdurchschnittlich attraktiv. Dass hin und wieder übertrieben wird, findet Psychologin Eichenberg nicht dramatisch: „Das ist ja in der realen Welt auch der Fall – zum Beispiel, wenn sich jemand schminkt oder eine Bauchweghose trägt.“ Wichtig sei deshalb, sich möglichst bald zu treffen, damit die Realität noch eine Chance gegen die Projektion habe. „Je mehr Projektionen aufgebaut werden, desto schwieriger wird es, zu bestehen“, sagt Eichenberg.

Distanziert

Menschen, die sich im Netz gefunden haben, müssen oft größere Entfernungen überwinden, um ihre Gefühle mitzuteilen. Durch E-Mails, über Twitter oder Facebook bleiben Paare wie über eine unsichtbare Nabelschnur miteinander verbunden. Für viele ist Skype als Kommunikationsmedium in einer Fernbeziehung nicht mehr wegzudenken. Auch wenn beide nicht am selben Tisch sitzen, so wird visuell und akustisch zumindest annähernd so etwas wie Alltag erschaffen. Man erzählt sich von seinem Arbeitstag, liest sich aus der Zeitung vor, hört gemeinsam den Lieblingssong und schläft bei laufender Webcam miteinander ein. Kuscheln ist leider nicht. Sex schon, wenn auch auf einer anderen Ebene. Selbst bei entsprechender Beleuchtung, Dessous und Sextoys kommen die Beteiligten nicht über die Rolle des Voyeurs hinaus – und bleiben am Ende sich selbst überlassen. Wenn es dann noch im entscheidenden Moment ruckelt und der andere vom Monitor verschwindet, sollte man zumindest in der Lage sein, die Situation mit Humor zu nehmen.

Peinlich

Glaubt man marktführenden Partnervermittlungen, ist die Partnersuche im Netz mittlerweile so selbstverständlich wie Online-Shopping. Doch obwohl Millionen Deutsche einen Partner aus dem Netz gefischt haben, tun sich viele noch immer schwer, das zuzugeben. Ein Phänomen der Internet-Ära ist das nicht: Dass man sich über eine Kontaktanzeige im Regionalblatt gefunden hat, behielt man schon vor 50 Jahren lieber für sich. Doch es tut sich was: „Jede Form aktiver Partnersuche war früher ein Merkmal der Übriggebliebenen“, sagt Wilchfort. Heute hingegen sei es auch ein Attribut von Menschen, die keine Zeit hätten, außerhalb des Jobs eine Beziehung zu suchen – nach dem Motto: Ich bin nicht zu hässlich oder zu doof, sondern war bisher zu beschäftigt für eine Beziehung. „Facebook und Google ist unser täglich Brot, wenn wir online nach einem Restaurant suchen, warum nicht nach einem Partner?“, fragt der Paartherapeut.

Pragmatisch

Früher ging man zum Eheberater – heute schätzen immer mehr User den pragmatischen Aspekt virtueller Beratungsportale: weniger Zeitaufwand, weniger Kosten, keine Wartezeiten auf einen Therapieplatz. Man muss sich nicht an Termine halten, sondern beantwortet die Fragen des Therapeuten dann, wenn man Zeit hat. Für Paartherapeut Wilchfort stellt die virtuelle Beziehungspflege durchaus eine Alternative dar – allerdings komme es dabei auf die Zielsetzung an. „Zur Unterstützung und Pflege kann man auch online eine Menge machen“, sagt Wilchfort. Eine tiefenpsychologische Therapie sei jedoch nur sehr begrenzt möglich. „Ich arbeite mit manchen Paaren über Skype, das hat Vor- und Nachteile“, erklärt der Paartherapeut. „Per Mail haben die Leute zum Beispiel mehr Zeit zu antworten. Außerdem sprechen die Klienten im Vergleich zur realen Sitzung manchmal viel freier und trauen sich eher, Kritik zu äußern, weil sie weniger Angst vor der Wut des Partners haben.“

Verbindend

Nicht unbedingt romantisch, dafür umso praktischer: In Zeiten, in denen nichteheliche Lebensgemeinschaften gesellschaftlich anerkannt sind, genügt vielen Paaren eine virtuelle Hochzeit, um ihre Beziehung – zumindest symbolisch – zu besiegeln. So können Trauzeugen auch dann teilnehmen, wenn sie im Ausland leben und die Gästeliste kann beliebig erweitert werden, ohne Kosten zu verursachen. In den USA haben sich bereits einige Soldaten virtuell trauen lassen, die in Kriegsgebieten stationiert waren und befürchteten, ihre Geliebte im Todesfall ohne Versorgung zurückzulassen. Inzwischen nutzen vor allem Menschen in Einwanderungsländern die Möglichkeit, Landsleute aus ihrer Heimat im Internet zu heiraten, um die Kosten einer Hochzeit im Ausland zu sparen. (Anfang März heiratete ein indisches Paar per Skype über einen Chatservice – Punam Chowdhury lebt in New York, ihr Zukünftiger Tanvir Ahmmed in Bangladesch.)

Diskret

Soll eine Ehe geschieden werden, ist der virtuelle Weg nur bedingt zu empfehlen. Nämlich dann, wenn ein Paar sich einvernehmlich trennen möchte und sich ohne Streit über Unterhalt, Hausrat, Vermögen und Erziehungsrecht einigen kann, macht die Scheidung übers Internet Sinn. Auf speziellen Scheidungsportalen können die Ehepartner den Papierkram über Anwälte abwickeln lassen und sich das persönliche Erscheinen vor dem Familienrichter sparen. Für Rosenkrieger kommt eine virtuelle Scheidung nur bedingt in Frage: Wer sich wegen jeder Tasse die Köpfe einschlägt, muss zuerst die Fronten beim Anwalt klären. Erst, wenn das erledigt ist, lässt sich die Liebe auch virtuell – und endlich ohne lautstarke Szenen – stilecht begraben.

Und dann? Das Leben geht weiter – vielleicht ist ja auf einer der Partnerbörsen für Singles mit Kindern was dabei … Klick!


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ImageDieser Text ist Teil einer gemeinsamen Reihe von VOCER und „Süddeutsche.de“ zum Thema Digitalisierung der Gesellschaft.

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