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„Wir machen nicht Online, wir machen Journalismus“

Man muss die Vorteile des Digitalen nutzen: Im Interview mit zwei Journalistik-Studierenden der Macromedia Hochschule in Hamburg für VOCER spricht Stefan Plöchinger, Chefredakteur von „Süddeutsche.de“, über den Umbruch in den Medien, die Zukunft von Print und gibt Tipps für den journalistischen Nachwuchs.


VOCER: Herr Plöchinger, würden Sie sich als Onliner bezeichnen?

Stefan Plöchinger: Ich sehe mich erst mal als Journalist. Das kann man nicht oft genug sagen. Wir machen nicht irgendwie Online, wir machen Journalismus. Wir machen das in einem Medium, das mehr und andere Sachen kann als andere Medien. Und ich halte es für das spannendste Medium. Es gibt diese Dichotomie nicht: hier diese Onliner, da die wahren Journalisten.

Wie verändert sich die Medienlandschaft durch das digitale Zeitalter und empfinden Sie dies als eher positiv oder negativ?

Das Digitale durchzieht inzwischen die meisten Bereiche des Journalismus. Spätestens Social Media hat klar gemacht, dass man sich mit digitalen Kommunikationsräumen auseinandersetzen muss, weil da relevante Kommunikation passiert und sich Öffentlichkeit neu konstituiert. Deswegen hilft es nicht, sich die Frage „gut oder schlecht?“ zu stellen. Man sollte anfangen, den Medienbruch als positiv zu sehen, um Vorteile zu nutzen. Es gibt unglaublich viele.

Stefan Plöchinger © Archiv
Stefan Plöchinger, „Süddeutsche.de“-Chefredakteur

Sehen Sie auch die Gesellschaft im Wandel, wenn man sich die Medienentwicklung der letzten Jahre anschaut?

Gesellschaft ist immer im Wandel. Ich glaube, heute informiert man sich grundlegend anders als vor fünf Jahren. Fast alle Menschen haben Mobiltelefone oder Computer mit Netzzugang, Öffentlichkeit wird agiler und schneller hergestellt – was Journalisten vor eine große Herausforderung stellt: die alten Werte des Journalismus in diese neue Welt zu tragen und trotz hohen Innovationsdrucks korrekt zu bleiben.

Durch den Wandel in der Medienwelt werden neue Jobprofile hervorgerufen. Würden Sie denn sagen, dass mehr Jobs im Zuge dieses Wandels verloren gehen oder entstehen?

Die Geschichte der Medien war zumindest in den vergangenen 60 Jahren immer eine Geschichte neuer Chancen und zugleich der Konsolidierung. Es gab mal deutlich mehr Zeitungen in Deutschland, und es war mal deutlich mehr Personal nötig, um sie zu machen. Heute dagegen können einzelne Menschen im Internet Journalismus betreiben und ein großes Publikum finden. Medien sind im Umbruch und werden vermutlich in zehn Jahren noch mal anders aussehen als jetzt. Ob dann weniger oder mehr Leute als heute Jobs in ihnen finden, hängt in erster Linie davon ab, wie wir uns jetzt verhalten, wie wir mit den Chancen umgehen oder ob wir bloß Angst haben vor Risiken.

Denken Sie, dass die digitale Medienwelt mehr Personalaufwand benötigt, mehr Möglichkeiten bietet, da sich generell mehr mit den Medien abspielt als früher?

Je innovativer eine Entwicklung, desto aufwändiger ist sie – das ist tatsächlich oft so. Aber zugleich wird viel Arbeit in der digitalen Welt erleichtert. Da entwickelt irgendjemand auf der Welt ein standardisiertes Tool, und plötzlich wird auch für uns etwas sehr simpel, was vorher sehr kompliziert war. Darum kann man nie vorher sagen, ob der eine oder andere Digitaltrend jetzt mehr oder weniger Personal brauchen wird.

Würden Sie jungen Journalistikstudierenden empfehlen, sich zu spezialisieren oder zu versuchen, die eierlegende Wollmilchsau zu werden?

Die Studierenden sollten versuchen, das zu machen, was ihnen Spaß macht – ohne dabei aber den Blick zu verengen. Das ist die erste Grundregel. Zweitens: viel Praxis und Erfahrungen sammeln, aber nicht wild zwei Dutzend Praktika machen. Man sollte versuchen, die für sich richtige Richtung herauszufinden und dann allmählich Tritt zu fassen. Dabei spezialisiert man sich fast automatisch. Die eierlegende Wollmilchsau zu sein, die alles kann, aber nichts richtig, ist kein so schönes Ziel.

Ist der Abschluss eines Studiums angesichts der Geschwindigkeit, mit der Technologien die Medienwelt verändern, veraltet?

Studiengänge müssen sich ändern. Man muss jenen, die viel Neugier mitbringen und deswegen in diesen Beruf wollen, antrainieren, dass sie immer weiter neugierig sein müssen. Sonst werden sie im Journalismus vermutlich nicht alt werden. Wach zu bleiben, ist eine Kulturtechnik, die das Studium vermitteln muss: Du musst dich verändern, deine Arbeit hinterfragen und gegenüber Neuem aufgeschlossen sein

Wie genau sollten sich die Studiengänge dann verändern?

Die praxisnahen Inhalte der Studiengänge müssen alle zwei, drei Jahre hinterfragt werden. Nur die Theorie ändert sich nach meiner Überzeugung nicht. Was den Journalismus ausmacht – die Werte, das Handwerk -, das ist ein genauso wichtiger Inhalt, und ihn darf man nicht alle paar Jahre ändern.

Gibt es neben der Neugier noch anderen wichtige Eigenschaften, die jemand haben sollte, der mit Medien arbeiten möchte?

Wer keine Neugier hat, hat in diesem Beruf nichts verloren. Außerdem Flexibilität und Akkuratheit. Es hilft nichts, wenn jemand neugierig und flexibel ist, aber keine Texte schreiben kann oder Fehler macht. Sinn für Qualität wird wichtiger, denn billiger Content ist keine Mangelware in digitalen Medien. Wer ernsthaft Erfolg mit Journalismus haben will, muss Qualität bieten.

Sie bezeichnen sich selbst als Digital Native. Raten Sie eine frühe Heranführung an die Medien?

Man kann es doch eh nicht verhindern. Wenn Kinder ein iPad sehen, wollen sie es anfassen, Punkt. Man sollte ihnen eine technische Entwicklung, die die Menschheit mit Sicherheit weiterbringen wird, nicht vorenthalten. Sie werden sie sowieso über kurz oder lang selbst entdecken. Man sollte sie aber nicht unbegleitet mit dem Zeug umgehen lassen, sondern heranführen, gerne so früh, wie Kinder heutzutage Englisch lernen – um zu nutzen, dass Kinder im jungen Alter Neues besonders gut aufnehmen.

Mit dem Internet in unserem Beruf, wünschen Sie sich schon manchmal die guten alten Zeiten zurück?

Auf keinen Fall. Ich bin ein Fan der Zukunft, und deswegen arbeite ich in der Gegenwart sehr gerne an einem Zukunftsmedium. Ich möchte kein reiner Printjournalist mehr sein, das wäre mir zu wenig dynamisch. Ich liebe die Agilität dieses Mediums und das, was darin möglich ist. 

Ist die letzte Rettung für den Printjournalismus, Digitales und Gedrucktes zu verzahnen?

Ich glaube nicht, dass Print morgen stirbt. Es ist auch keineswegs ausgemacht, dass Print komplett verschwinden wird. Wir sagen immer „Print“, aber hinter dem Wort verbirgt sich eine Unmenge an Titeln: Tageszeitungen, Magazine, Monatszeitschriften, Wochenzeitungen. Und dann sehen Sie sich mal die Erfolgsgeschichten von „Brand eins“, „Neon“ oder „Nido“ an – nein, Holz stirbt nicht zwingend aus.

Werden die digitalen Medien nicht immer mächtiger im Vergleich zu Print?

Die digitalen Medien treten neben die anderen. Sie sind damit zunächst mal eine große Chance für Medienhäuser, ein viel größeres Publikum zu erreichen als bisher. Es geht auch nicht um einen abstrakten Kampf Online versus Print, sondern um Journalismus, um den Inhalt. Es geht darum, auch im digitalen Raum durch hohe Qualität eine starke Medienmarke aufzubauen. Nur so kann man Journalismus am Ende finanzieren. Man muss auf allen relevanten Plattformen relevant sein, egal ob Print oder Online. Erst danach lassen sich gute Geschäftsmodelle finden, um diesen Journalismus auch zu finanzieren.

Haben Sie, seitdem Sie Chefredakteur sind, eine andere Sicht auf die Medien als ein normaler Nutzer?

Ich arbeite seit sieben Jahren in leitender Funktion – da sehe ich Dinge wohl nicht mehr zwingend normal, wenn Sie so wollen. Die Sicht auf den Journalismus formt sich mit jedem Job, mit jedem weiteren Jahr neu. Ich selbst habe durch den Wechsel vom Marktführer „Spiegel Online“ zum Kontrahenten „Süddeutsche.de“ noch mal viel gelernt, weil sich die Perspektive stark gedreht hat; es ist sehr spannend und öffnet die Augen, auf einer anderen Bahn zu sein.

Wie kommt man als junger Absolvent auf eine dieser Bahnen und macht dort so schnell Karriere?

Bei mir war auch ein gutes Maß an Glück dabei. Ich habe jeden meiner Jobs sehr gerne gemacht, dafür gebrannt – und immer, wenn es langweilig wurde, überraschend eine gute Chance zum Wechseln bekommen. Dazu würde ich immer raten: sich einen neuen Impuls zu suchen, wenn man einen braucht. Ich glaube nicht, dass man oft Jobs wechseln sollte – aber man sollte in sich reinhören: Was will ich eigentlich wirklich machen? Und dann versuchen, weiterzukommen.


Stefan Plöchinger ist auch VOCER-Autor. Hier geht es zu seinem Profil.