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Wir werden ausspioniert und keinen interessiert’s – oder?

Als ich diese Woche aus dem Urlaub wiederkam, ging es mir wie dem Satiriker John Oliver wenige Tage vorher: Er moderiert derzeit die renommierte US-Sendung „The Daily Show“, während deren eigentlicher Gastgeber Jon Stewart einem anderen Projekt nachgeht. Oliver öffnete mit den guten Wünschen, die Stewart ihm mitgegeben habe, sinngemäß: Du packst das schon, im Sommerloch passiert doch eh nichts! Also trat Oliver seinen Dienst an und wurde als allererstes mit dem umfassenden NSA-Spionageprogramm Prism konfrontiert. Mit den Beweisen eines Whistleblowers, dass die NSA, angeblich unterstützt von Unternehmen wie Google, Microsoft oder Facebook, bereits seit Jahren nicht nur seine Bürger, sondern auch Menschen in Übersee ausspioniert, ihre sämtliche Kommunikation aufzeichnet und im Namen der Terrorbekämpfung untersuchen kann.

Wie sich wenige Tage darauf herausstellte, waren die Enthüllungen mit dem Bekanntwerden von Prism noch nicht am Grund des Eisbergs angelangt. Tempora heißt das britische Pendant, das mich nach meinem Urlaub überraschte wie seine kleine Schwester John Oliver in der Woche zuvor. Bis zu 39 Millionen Gigabyte an Daten soll der britische Geheimdienst GCHQ in Kooperation mit der NSA in den letzten Jahren aus den atlantischen Glasfaserkabeln abgezapft haben. E-Mails gelesen, Telefongespräche belauscht, Web-Bewegungen verfolgt. Einen guten aktuellen Überblick über die Geschehnisse finden Sie hier

Nicht nur im vorherigen Absatz, sondern auch in der bislang erschreckend leisen Debatte zum Thema spielt das Wort überrascht eine nicht unbedeutende Rolle. Konnte es uns wirklich überraschen, dass Geheimdienste Zugriff auf unsere digitale Kommunikation haben? IT-Experten und -Interessierte sowie viele der digital Versierten zumindest in meinem näheren Umfeld sagen jetzt unisono: Nein.

Ist es naiv von mir, dass ich mit diesem Ausmaß nicht gerechnet habe? Das jetzige Vorpreschen der „Wir haben es schon immer gewusst“-Fraktion führt zumindest bei einigen dazu, dass sie lieber nicht offen zuzugeben, dass sie mehr Vertrauen hatten als vielleicht gut für sie war. Betrachtet man nämlich, wie wenige Menschen, die ja alle das Ausmaß längst geahnt haben wollen, sich mit gängigen technologischen Möglichkeiten – einer Verschlüsselung für die beliebte Dropbox oder ordentliche Passwörter – gegen Fremdeingriffe schützen, wirkt es nicht gerade so, als hätten sie sich wirklich ernsthaft mit dem Thema auseinandergesetzt.

Hetzjagd und Phantome statt ernster Debatte

Statt der eigentlichen Fragen wurde letztlich der Mann zum Nummer-eins-Thema, der die Spionageprogramme öffentlich gemacht hat, Edward Snowden. Durchaus relevant wird darüber diskutiert, ob der nun gejagte Ex-Datenanalyst ein Held ist, dem man danken sollte, oder ob sein „Heiligenschein“ Flecken hat, wie es anderswo heißt, weil er sich angeblich nur hat anstellen lassen, um überhaupt Whistleblower zu werden. Auf den Nachrichten-Websites in den vergangenen Tagen jedenfalls fand sich gefühlt mehr Hintergründiges zur Fahndung nach Snowden als zu Prism, Tempora und ihren möglichen Folgen.

„Where is he? Who knows. Who cares? We shouldn’t. Or at least that’s not what we should care about most. We should be having a debate about privacy and security in America.“

Das beklagte so Anfang der Woche der amerikanische Netzvordenker und eigentlich Post-Privacy-Advokat Jeff Jarvis zu Recht. Schlimm genug, dass im Vereinten Königreich mit seiner ständigen Überwachung via CCTV kein Unrechtsgefühl aufzukommen scheint, aber in Deutschland? Dem Land, in dem eine Verbraucherministerin Konzernchef Mark Zuckerberg aus Sorge um Nutzerdaten einen Offenen Brief schreibt oder in dem Hunderttausende sich die Mühe machen, ihre Fassade auf Google Street View verpixeln zu lassen, damit auch bloß nicht die Gefahr besteht, dass man vielleicht einen Blick ins Wohnzimmer erhaschen kann. Gegen die Vorratsdatenspeicherung stemmen wir uns seit Jahren erfolgreich – und bei diesem „Skandal von historischem Ausmaß“, gegen den alles Bisherige Kinderkram ist, halten wir die Finger still?

Wie kann es sein, dass über Edward Snowdens leeren Sitz im Flugzeug mehr gesprochen wird als darüber, wie Geheimdienste – unsere eigenen, aber vor allem die vermeintlicher Partnerstaaten – unsere Privatsphäre derart mit Füßen treten? Wenn das Briefgeheimnis verletzt worden wäre statt unseres Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (im digitalen Raum) – oh, das Geschrei wäre garantiert groß! Aber der Privatsphäre ist es ziemlich egal, ob man sie anfassen kann oder nicht. Eine Verletzung der Privatsphäre ist eine Verletzung der Privatsphäre.

Warum so gleichgültig? Mögliche Antworten

Auch wenn man durchaus die Rolle der Medien in diesem Geflecht kritisieren kann, soll dies nicht die Medienschelte sein, die Sie jetzt vielleicht erwarten. Vielmehr ist es der Versuch, eine Antwort zu finden auf die Frage, warum die Empörung – der Politik ebenso wie die der Medien, aber vor allem die jedes einzelnen Bürgers – bislang so leise ist und der Widerstand erst jetzt langsam erwacht. Die Antwort auf diese Frage ist alles andere als eindimensional, selbst in ihrer Vielzahl können die folgenden Gedanken nur einen Teil der Wirklichkeit wiedergeben.

Resignation
Tiefes, schweres Atmen, man kann es regelrecht hören, wenn man die Reaktionen mancher liest, und dazu ihr Schulterzucken zwischen den Zeilen lesen kann/erahnt. Ein Gefühl von Ohnmacht scheint sich zu verbreiten, als sei nach all den David-gegen-Goliath-Szenarien der Kampf um unsere Daten ohnehin schon verloren. Das Motto: Wir können eh nichts tun, also halten wir gleich die Klappe? Gerade da Prism und Tempora in anderen Ländern und damit außerhalb unserer Kontrolle zu liegen scheint, hat es ja eh keinen Sinn, nicht wahr?

Und da wir unsere Privatsphäre auf Facebook und Konsorten ohnehin seit Jahren freiwillig aushöhlen und des Komforts von Google wegen selbst der Bespitzelung hingeben, können wir auch gleich die letzten virtuellen Hüllen fallen lassen. Welch ein gefährlicher Fatalismus, der so tut, als sei nur das Gespräch von Angesicht zu Angesicht sicher und als kämen die Verheißungen des digitalen Raums eben mit einem zu akzeptierenden hohen Preis daher.

Fehlende Betroffenheit
Gleich doppelt ist ein Betroffenheitsmangel ein Faktor, der die gefühlte Gleichgültigkeit vieler zu bestimmen scheint: auf der Ebene der Individuen, die mit der fürchterlichsten aller Rechtfertigungen die globale Verletzung von Bürgerrechten hinnehmen: „Ich habe nichts zu verbergen!“ Doch ob Sie sich wirklich etwas haben zuschulden kommen lassen oder nicht, das ist so manchem Algorithmus ziemlich egal und plötzlich sind sie auf dem Radar von Terrorfahndern. Betroffenheit bzw. ihr Fehlen könnte zweitens eine Rolle spielen, wo Bürger ihrem Land und ihrer Regierung ausreichend vertrauen, es nicht zu übertreiben. Doch was, wenn der Staat zur Bedrohung wird? Wo ist die Grenze der Verhältnismäßigkeit?

Schwierige Rechtfertigung des Gegenteils
Überhaupt ist die Verhältnismäßigkeit der Spionagemaßnahmen ein Punkt, über den viele sich nicht hinwegzublicken trauen, behaupte ich. Schließlich lautet die vordergründige Rechtfertigung solcher Eingriffe stets, dass es um die nationale Sicherheit geht. Gebt uns eure Daten, sonst werdet ihr Terrorismusopfer ist eine sehr emotionale Argumentation, gegen die man schwer ankommt und die schnell auf Kosten der Privatsphäre entschieden wird.

Wäre es mir lieber, unsere Daten wären nicht ausspioniert worden und dafür wären bei den angeblich Dutzenden aufgedeckten Terroraktivitäten womöglich Hunderte oder Tausende Menschen gestorben? Niemand würde eine derart unsensible Rechnung ernsthaft aufmachen. Also bleibt es meist bei einem zurückhaltenden „Aber“, das dazu führt, dass ernsthafte Bedenken bei den oben beschriebenen Unempörten nicht ankommen.

Kein Zusammenkommen möglich?

Aus welchem Grund auch immer sie sich der öffentlichen Diskussion zum Thema entziehen, es gibt sie inner- und außerhalb der digitalen Blase zuhauf, diejenigen, denen die Vorstellung globaler Überwachung keine Bauchschmerzen bereitet. Ob in umfassenden Facebook-Diskussionen oder den Kommentaren meiner aktuellen Kolumne zum Thema – es fühlt sich an, wie gegen eine Mauer zu argumentieren. Lange war es nicht mehr so treffend, was der Psychologe und Unternehmensberater Peter Kruse schon vor Jahren eindrucksvoll zeigte: dass nämlich das Digitale neue Wertemuster hervorgebracht hat, die eine zielführende Diskussion zwischen bestimmten Gruppen regelrecht blockiert. Simpel gesagt: Wir verstehen einander einfach nicht.

Insofern ist dieser Beitrag im Kern dann doch auch ein Stück Medienschelte, denn wer, wenn nicht die mediale Öffentlichkeit, Journalisten genau wie bloggende und twitternde Aktivisten oder empörte Bürger, könnten mit einer sensiblen Herangehensweise dafür sorgen, dass statt Edward Snowdens Model-Freundin die politischen Implikationen und persönliche digitale Schutzmaßnahmen diskutiert werden, dass wir weniger darüber spekulieren, wo sich der Whistleblower aufhält und mehr ernsthafte Aufklärungsarbeit leisten. Und dass unser Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht wie so Vieles dem digitalen Graben zum Opfer fällt und irgendwo einem von Hunderten Transatlantik-Glasfaserkabel gekappt wird.


Wie Sie sich und Ihre digitale Kommunikation zumindest zum Teil schützen können, erfahren Sie auf prism-break.org.

Dieser Text steht unter einer CC-Lizenz: CC BY-NC-ND 3.0 DE – Namensnennung, nicht kommerziell, keine Bearbeitung)