Zwei Körbe voller Geld
Am 28. März vor einem Jahr standen plötzlich 86 Kilo Geld vor der Tür. Einfach so. Ein Spender, der anonym bleiben wollte, hatte das Geld der Wirtin des Cafés im Erdgeschoss in die Hand gedrückt, damit sie es in der Redaktion der Wochenzeitung „Kontext“ ablieferte. Die Frau musste zwei schwere Körbe in den zweiten Stock hoch schleppen. Das Kleingeld war feinsäuberlich in Banderolen gewickelt: Münzen zu 50 Cent, ein Euro und zwei Euro -insgesamt 10.000 Euro. Eine Woche davor hatte die kleine alternative Zeitung aus Stuttgart ihre Website schwarz geschaltet und zu Solidaritätsabos aufgerufen – andernfalls drohe das Aus. Prompt kam die bislang größte Spende.
Der Unbekannte fügte den Hinweis hinzu, wenn Kontext von ihm schon so viel Geld erhalte, dann sollte die Redaktion damit wenigstens ein wenig Mühe haben. Das hatte sie tatsächlich, denn Banken vor Ort wollten das Kleingeld gar nicht annehmen – angeblich aus Angst, es befände sich auch Blech unter den Münzen. Drei Mitarbeiter der Zeitung mussten die 86 Kilo zur Stuttgarter Filiale der Bundesbank transportieren.
Kontext lebt von Spenden und sie ist das vielleicht bekannteste Projekt hierzulande, in dem namhafte Journalisten in Krisenzeiten nach dem Vorbild von „Pro Publica“ in New York ein Gegenmodell zu etablierten Zeitungsverlagen erproben. Vergangene Woche veröffentlichte Kontext die 100. Ausgabe. Josef-Otto Freudenreich, der sich „stellvertretender Oberministrant“ nennt, ist zugleich der bekannteste Journalist der Zeitung. Der ehemalige Chefreporter der „Stuttgarter Zeitung“ sagt: „Wir können uns kaum retten vor Anfragen von Kollegen.“ Die große Aufmerksamkeit erstaune ihn manchmal, sagt er, denn Kontext ist klein, wenn man sie mit der Konkurrenz der beiden Lokalzeitungen „Stuttgarter Zeitung“ und „Stuttgarter Nachrichten“ vergleicht. Für „Kontext“ arbeiten fünf Reporter, zwei Fotografen und ein Lektor – für die beiden Zeitungen zusammen mehr als 200.
Anfangs suchte „Kontext“ einen potenten Mäzen, der eine große Summe gibt. Hoffnung keimte, als der ehemalige Daimler-Chef Edzard Reuter sich engagierte. Beobachter befürchteten indes, er könnte Einfluss auf die Inhalte nehmen. Heute ist Reuter nicht der maßgebliche Spender, sondern ist Vorsitzender des Beirats, der den Verein berät, der „Kontext“ herausgibt. „Wir haben uns von der Idee eines Großspenders verabschiedet“, sagt Freudenreich. „Es lebt sich besser ohne.“ Das garantiere der Zeitung redaktionell völlige Unabhängigkeit. Das Modell des reichen Einzelspenders funktioniere von Ausnahmen abgesehen – etwa der „Tageswoche“ in Basel – nicht wirklich. Stiftungen beispielsweise dürften in Deutschland kommerzielle Zeitungen nicht direkt unterstützen, wurde Kontext gesagt. Deshalb konnte die Wiedeking-Stiftung nicht die Redaktion unterstützen, sondern fördert nur den Bildungsbereich des Vereins, der „Kontext“ herausbringt, mit 10.000 Euro. Mitarbeiter von „Kontext“ gehen in Schulen und sprechen dort über Journalismus und Medien-Demokratie.
Prinzip Selbstausbeutung
Die Einnahmen von „Kontext“ betrugen 2011 rund 150.000 Euro, 2012 waren es bereits 250.000 Euro. Damit werden nun fünfeinhalb Stellen finanziert, außerdem zwei Fotografen und ein Lektor sowie Beiträge freier Mitarbeiter mit bis zu maximal 200 Euro honoriert. Das Geld kommt vor allem von den 1.200 Solidaritätsabos von mindestens zehn Euro monatlich, die jeden Monat rund 15.000 Euro erbringen. Dazu kommen monatlich 7.800 Euro von der „taz“, die „Kontext“ in einer Teilauflage verbreitet. „Seit es uns gibt, hat sie ihre Wochenendabos in Baden-Württemberg von 600 auf 1.400 gesteigert“, sagt Freudenreich. Ab April soll „Kontext“ in der gesamten Auflage der „taz“ (60.000) erscheinen. „Wir Schwaben sind eben überall.“
Viele Initiativen im Bereich alternativer Finanzierungsmodelle basierten auf dem Prinzip der Selbstausbeutung, sagt Berthold Flöper, bei der Bundeszentrale für politische Bildung zuständig für Multimedia und Lokaljournalismus. Deshalb sei beeindruckend, was „Kontext“ und „taz“ in Stuttgart verwirklichten. Die Erwartungen vom Start seien jedenfalls übertroffen, sagt Freudenreich. Mitarbeiter erhalten maximal 2.500 Euro brutto monatlich; damit liege man weit unter Tarif, aber Freudenreich betont: „Wir sind auf einem guten Weg und haben die reine Selbstausbeutung verlassen.“ Die Finanzierung sei für zwei bis drei Jahre gesichert. Ziel sei, die Zahl der Solidaritätsabos bis Ende des Jahres auf 1.500 zu erhöhen.
In Deutschland etablieren sich mehr und mehr alternative Finanzierungsmodelle für Journalismus. Im Januar startete die Plattform Krautreporter, über die Journalisten Gelder für Recherchen einwerben können. Gerade übertrafen ein Dokumentarfilmprojekt sowie eine Online-Plattform, die Lobbyeingaben in EU-Gesetzestexten aufdecken will, ihr Finanzierungsziel von 6.600 und 7.500 Euro. Crowdfunding sei „etwas anderes als Spenden“, sagte Sebastian Esser, der Krautreporter betreibt, einem Medienblog. „Es ist eine Form von Vorfinanzierung.“ Journalisten könnten so Projekte ausprobieren, die sich anders nicht finanzieren lassen. „Krautreporter ist ganz bestimmt nicht die Zukunft des Journalismus, aber es könnte ein kleiner Teil davon sein.“
Stephan Weichert, Professor für Journalismus an der Hamburger Macromedia Universität, hat 2011 die gemeinnützige Online-Plattform VOCER gestartet, um über den dritten Weg der Finanzierung des Journalismus (neben öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Medienunternehmen) zu informieren und zu diskutieren. Hauptunterstützer der Plattform sind die Stiftung Pressehaus NRZ in Essen und die Augstein-Stiftung. VOCER bietet auch 3.000-Euro-Stipendien für Innovationen an (die Bewerbungsfrist läuft bis Mitte März), die von Stiftungen finanziert werden. Ende des Jahres will Weichert zusätzlich eine Plattform für Crowdfunding anbieten.
Der Verein Investigate! fördert keine Verlage oder Zeitungen, sondern Projekte. „Das Projekt muss die Jury überzeugen“, sagt Klaus Liedtke, ehemaliger Chefredakteur bei Gruner+Jahr („Stern“, „Geo“). Eine Recherche über Pharmasklaven in Indien, die Investigate! mit 10.000 Euro förderte, führte zu einem Film, den der WDR in seiner Reihe „Die Story“ ausstrahlte. Die „Süddeutsche Zeitung“ veröffentlichte die Druckfassung. Zu den Geldgebern zählen Audi und die Roland-Berger-Unternehmensberatung.
In Nordrhein-Westfalen schließlich soll von 2014 an eine staatliche Stiftung gezielt lokalen Journalismus fördern. Die Ankündigung für dieses Vorhaben löste aber auch Kritik aus. Die Förderung könnte zu staatsnah und politisch abhängig sein, hieß es. Um aus den Erträgen Projekte und Redaktionen fördern zu können, ist ein Millionenbetrag nötig. Einzelheiten will die Staatskanzlei voraussichtlich im Mai bekannt geben.
Hinweis: Die „Kontext:Wochenzeitung“ gehört zu den Kooperationspartnern von VOCER.
Dieser Artikel ist zuerst in der „Berliner Zeitung“ und in der „Frankfurter Rundschau“ erschienen.